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Sarah Speisers Theaterwelt

  • Autorenbild: Noemi 333
    Noemi 333
  • 7. Jan. 2023
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 6. März 2023

Es ist halb fünf Uhr an einem Mittwochnachmittag. Sarah Speiser - Schauspielerin, Regisseurin und heute Theaterpädagogin - sitz wie jede Woche an ihrem Laptop und passt noch ein paar neue Texte an, um sie später zu verteilen. Draussen nieselt es aus verhangenem Himmel. Doch davon merkt man nicht viel auf einer der Probebühnen des Theater Basels. Der Raum ist hell beleuchtet und spärlich eingerichtet: ein Tanzparkett in der Mitte des Raumes und einige Stühle und Requisiten drum herum. Die circa neun- bis zwölf-jährigen Kinder, welche nach und nach hereinschneien, werden diese aber gleich in Bühne und Backstage verwandeln.

«Mögt ihr noch mehr Text?» fragt Sarah zwei Mädchen, welche schon eine Weile herumsitzen und auf den Beginn des Theaterkurses warten. Bei dieser Inszenierung verteilt Sarah den Text etappenweise. Das hat den Vorteil, dass sie die Menge des Textes je nach Lernbereitschaft der einzelnen Kinder anpassen kann und diese nicht überfordert werden. «Was ist es denn für Text?», erkundigt sich das eine Mädchen. Sie könne einfacher Dialoge lernen als Monologe, erklärt sie. Als Sarah versichert, es sei ein Dialog und im Notfall würde sie zu lange Stellen auch noch einmal kürzen, erklären sich die zwei bereit, den Text auf nächste Woche zu lernen. Nach und nach füllt sich der Raum mit immer mehr Kindern. Nachdem sich auch die letzten einen Stuhl geschnappt und sich neben dem Parket hingesetzt haben, beginnt Sarah die Probe.

Die heute 35-jährige Sarah Speiser kam durch ihre Mutter Sonja Speiser schon sehr früh mit Theater in Berührung. Auch Sonja arbeitet als Theaterpädagogin. Früher, anstatt einen Babysitter zu engagieren, nahm sie ihre Kinder kurzerhand in ihre Theaterkurse mit. Sarah konnte ihre Mutter auch als Schauspielerin bei den Rattenfängern auf der Bühne bewundern. Jetzt arbeitet Sarah selbst als Schauspielerin und Theaterpädagogin in Basel. Als Regisseurin inszeniert sie hauptsächlich in Deutschland. Die Vielfältigkeit ihrer beruflichen Tätigkeit beginnt mit ihrem Physical Theatre Studium an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Eigentlich will Sarah Schauspiel studieren, merkt aber, dass ihr der körperliche und tänzerische Aspekt sehr zusagt. Durch Zufall erfährt sie von dem Studiengang Physical Theatre, der genau dem entspricht, was sie gerne tut. Das Studium umfasst eine Ausbildung von Körper, Stimme und Spiel welche zum Ziel hat, auch eigene Stücke inszenieren zu können[1]. Sarah wird zu ihrem Überraschen aufgenommen und ihr Wunschtraum, beruflich in die Theaterwelt einzutauchen, wird somit zur Realität. Nach dem Abschluss ihres Studiums 2013 arbeitet sie hauptsächlich als Schauspielerin und Physical-Performerin. Durch erneuten Zufall übernimmt sie die Vertretung für eine Regie an einem Schultheater. Nach und nach arbeitet sie auch mit Studierenden und schlussendlich bekommt sie eine erste Anfrage, in Deutschland mit Profis zu inszenieren. Mittlerweile arbeitet Sarah Speiser an mehreren Theatern in Deutschland als Regisseurin.

Das Getuschel stellt sich langsam ein, als Sarah die Kinder zum Theaterkurs begrüsst. «Hallo Leute, heute schauen wir drei neue Szenen an», informiert Sarah. «Es werden nicht immer alle drankommen, also wenn euch gerade langweilig ist, geht doch nach hinten und lernt Text. Dann müsst ihr das Zuhause weniger tun.» Im Vergleich zu professionellen Schauspieler*innen lernen die Kinder ihren Text erst während der Probezeit und kommen nicht mit schon vollständig auswendig gelerntem Text in den Theaterkurs. Auch die Komplexität und die Sprache der Theaterstücke ist bei Profis auf höherem Niveau. Trotzdem findet Sarah, dass es Dinge gibt die Kinder besser können als ihre erwachsenen Kolleg*innen. «Kinder sind oft weniger verkopft und somit kreativer als Erwachsene. Man muss ihnen bloss ab und zu einen Anstoss in die richtige Richtung geben.» Auch stehe für die Kinder das Ausprobieren und Entdecken wärend dem Spielen im Vordergrund. «Es geht beim Inszenieren mit Kindern oft nicht nur ums Ziel, sondern mehr um den Prozess und den Weg dorthin», erklärt Sarah. Sie gibt sich grosse Mühe, auf Ideen der Kinder einzugehen und diese nach Möglichkeiten in das Stück miteinzubringen.

Die jungen Schauspieler*innen stellen sich für die erste neue Szene auf. Diejenigen, welche gerade nicht auf der Bühne gebraucht werden, setzten sich brav in eine Ecke des Raums und beginnen leise zu Tuscheln. Ob sie tatsächlich Text lernen oder sich über ihre vergangene Woche austauschen, sei einmal dahingestellt. Auf dem Parket verwandeln sich zwei Mädchen in Karl und Jonathan Löwenherz. Die grossen Rollen wurden unter mehreren Kindern aufgeteilt und werden auch nicht nur von Jungs gespielt. Ein dritter Junge altert um viele, viele Jahre: er ist nun ein alter Mann. Der Mann führt Karl zu einem imaginären Schrank, in welchem sich Jonathan versteckt. Die Wiedersehensfreude der zwei ist…

«Leute», unterbricht Sarah, «die freuen sich, einander wieder zu sehen!» Lächelnd steht sie auf und stellt sich neben die Kinder auf die Bühne. Zusammen wiederholen sie den Moment der Begrüssung und Sarah zeigt den Kindern, was sie sich das vorstellt. «So, das machen wir nochmal.», weist Sarah an während sie sich wieder an ihr Tischlein setzt. Die Kinder nicken und spielen die Sequenz erneut. «Ja, schon viel besser so!», ermutigt die Theaterpädagogin auch gleich. Weiter geht es in der Szene. Nach einem Dialog soll ein Brief mithilfe einer Brieftaube verschickt werden. «Sarah, wie sollen wir die Taube spielen?», kommt sogleich die Frage von einem der Kinder. Sarah hat schon eine Lösung parat: Ein Textblatt verwandelt sich durch eine Falte in der Mitte zu einer Taube. Ein weiteres Kind spielt nun die Taube, in dem es den Brief, in diesem Fall das Textblatt, zwischen Daumen und Zeigefinger in einer Auf- und Ab-Bewegung zu einer fliegenden Taube verwandelt. «So etwas habe ich einmal in einer anderen Inszenierung gesehen. Das klauen wir jetzt von denen», erklärt Sarah mit einem Augenzwinkern. Was bei Sarah Speiser - ob mit Kindern oder Erwachsenen - immer gleichbliebt, ist der Stil ihrer Inszenierung. Sarah arbeitet gerne mit reduzierten Bühnenbildern, Requisiten und Kostümen. Das Schlichte finde sie sehr ansprechend. Zudem ist ihr Physical Theatre Hintergrund durch häufigen Einsatz von körperlichen Elementen in ihren Inszenierungen wiederzufinden.

Gerade haben sich die jungen Schauspieler*innen für die nächste Szene aufgestellt. Jetzt stehen wieder alle Kinder auf der Bühne. Sarah versucht die Kinder so oft wie möglich auf der Bühne einzusetzen. Das hat den Vorteil, dass ihnen hinter der Bühne nicht langweilig wird und sie so nicht unkonzentriert werden. Sarah steht auf und erklärt den Kindern, wie sie sich das Anfangsbild und den Ablauf der Szene ungefähr vorstellt. Schon bei der Stücksuche beginnt der Prozess des Inszenierens. Denn bereits vor den ersten Proben, muss Sarah als Regisseurin grundlegende Entscheidung zur Inszenierung treffen. Zum Beispiel, ob sie mit mehreren Ebenen oder Blickwinkeln arbeiten möchte, wie die Bühne und die Kostüme ungefähr aussehen sollen und ob Szenen eher körperlich oder dialogisch angegangen werden sollen. Natürlich werden Ideen und Konzepte laufend überarbeitet, verworfen und ausgebaut. Trotzdem muss immer eine Grundidee als Basis und zur Orientierung bestehen. Während den Proben arbeitet Sarah zügig. «Ich gebe gern Gas, damit es schnell vorwärts geht.» So hat sie am Ende Zeit, um an Details zu arbeiten und weitere Ideen auszuprobieren. Auch auf der Bühne geht es bei Sarah immer effizient vor: «Bei mir gibt es keine Zwei-Stunden-Stücke. Ich mache immer kurze und knackige Stücke!», pflegt sie zu sagen.

Die Kinder platzieren sich, wie es Sarah ihnen erklärt hat und schon beginnt die Szene. Tengil, der Bösewicht des Stücks, steht auf einem Tisch gegenüber von Karl, umringt von seinem Gefolge. Der Tyrann Tengil schreit: «Nieder mit ihm!» …Und niemand rührt sich. «Leute, nieder mit ihm! Schnappt ihn euch.», lacht Sarah und seht wieder vom Tischchen auf. Zusammen mit den Kindern inszeniert sie die Szene etwas Choreografischer. «Also, Tengil schreit: «Nieder mit ihm.» Dann geht ihr in Zeitlupe auf ihn zu. Ihr zwei», sie zeigt auf zwei Mädchen, in der Gefolgschaft von Tengil, «schnappt ihn euch und stosst ihn auf den Boden. Ach, das ist so brutal!» Allgemeine Begeisterung der Kinder: «Das ist cool!» «Ja, ich weiss ihr findet das super. Aber dieses Stück… ich weiss nicht, ob ich das so brutal machen kann.» Doch die Begeisterung der Kinder, überzeugt Sarah dann doch, die Choreo fertig zu inszenieren. Die Kinder haben zu Beginn noch einige Schwierigkeiten mit dem Timing und die Bewegungen in Zeitlupe sind auch nicht immer so langsam und bestimmt, wie sie geplant waren, doch von Wiederholung zu Wiederholung werden die Kinder besser. «Das macht ihr super», ermutigt Sarah immer wieder. Als sie mit dem Ergebnis des ersten Szenenentwurfs zufrieden ist, findet sie: «Ihr macht das toll! Jetzt wiederholen wir das alles nochmal.» Die zuvor skizzierten Szenen werden noch einmal geprobt, um sie zu festigen. Das hilft den jungen Schauspieler*innen, ihre Positionen und Gänge zu verinnerlichen.

Um halb sieben, zwei Stunden nach Probebeginn, endet die Probe. Sarah steht auf, verteilt noch einmal Lob an alle Kinder und gibt einen Ausblick darauf, was nächste Probe geplant ist. Zum Schluss geht sie noch einmal auf das Textlehren ein: «Es ist wirklich wichtig, dass ihr den Text so bald wie möglich könnt. Nur so kommen wir schnell voran. Und es macht auch viel mehr Spass, wenn man ohne Text spielen kann.» Sarah inszeniert gerne direkt in der Probe. Ihr kommen die meisten Ideen spontan beim Zusehen. Je freier die Schauspieler*innen da sind, umso besser funktioniert das auch. «Ich finde den kreativen Prozess mega spannend, wenn verschiedene Ideen zusammen auf eine Reise gehen und man sich gegenseitig inspiriert und kreativ ist.»

Als Sarah geendet at, stehen die Kinder auf und verabschieden sich. Sie verlassen das Gebäude in den schon dunklen Abend und freuen sich nach dieser intensiven Probe, nach Hause zu gehen und zu Abend zu essen. Sarah sitz noch eine Weile an ihrem Laptop und schreibt sich die letzten Ideen und Gedanken zur heutigen und nächsten Probe auf. Danach macht auch sie sich auf den Nachhauseweg. Konkrete Ideen und Pläne für ihre weitere Zukunft hat sie nicht. Das Wichtigste sei für sie bloss, in dieser Kunst- und Theaterwelt zu bleiben.

 
 
 

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